Leitlinie

Das Festival Theaterformen ist ein jährlich stattfindendes internationales Theaterfestival, das an elf Tagen im Sommer 15 bis 20 Theaterstücke zeigt. Die Stücke verhandeln oft soziale Themen und entstehen in der Regel nicht in Deutschland, sondern in unterschiedlichen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten. Die künstlerische Leiterin lädt jedes Jahr Stücke und Künstler*innen nach Niedersachsen ein. Das Festivalteam möchte den anreisenden Künstler*innen und dem Publikum einen Ort bieten, an dem niemand benachteiligt wird. Mit der Leitlinie, die 2019 unter der Leiterin Martine Dennewald entwickelt wurde, möchte das Team beschreiben, was es tut, um diesem Ziel näher zu kommen. 

Leitungswechsel und Fortführung diskrimierungskritischer Arbeit

In den Jahren 2018 und 2019 durchlief das Festivalteam eine fünfteilige, von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Fortbildung. Die Arbeit mit dem Institut für diskriminierungsfreie Bildung I IDB beinhaltete die Reflexion der Arbeitsprozesse innerhalb der Institution als auch eine Analyse der Öffentlichkeitsarbeit, den Umgang mit Diskriminierung in der Festivalarbeit und eine Formulierung möglicher antirassistischer Strategien für die Zukunft. Monatliche Awareness-Sitzungen, eine neue Einstellungspolitik, die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, die Bestellung externer Berater*innen für produktionsbezogenes Feedback und Fortbildungsmöglichkeiten sind nur einige Beispiele für die aus der Prozessbegleitung hervorgegangenen internen Veränderungen.  

Die hier veröffentlichte diskriminierungskritische Leitlinie ist ebenfalls aus der IDB-Fortbildung hervorgegangen. Sie zeigt im Wesentlichen den Stand von Oktober 2019. Das neue Team, das im September 2020 unter der Leitung von Anna Mülter seine Arbeit begonnen hat, will die diskriminierungskritische Arbeit fortsetzen, weiter an der Leitlinie arbeiten und sie um die Bereiche Ableismuskritik und Barrierefreiheit ergänzen.

Hannover, 26. Oktober 2020  


DISKRIMINIERUNGSKRITISCHE LEITLINIE

FESTIVAL THEATERFORMEN

Wir, das Festivalteam, stellen uns von Jahr zu Jahr den Herausforderungen und Thematiken, die Künstler*innen mit ihren Werken artikulieren. Wir möchten ihren Ansprüchen nachkommen bis ins letzte konzeptionelle und organisatorische Detail. Ihre Bildwelten, ihre kulturellen, geopolitischen und sozialen Kontexte bilden die Grundlage unserer Arbeit. Das Festival als Institution, als Gesprächspartnerin, als Arbeitszusammenhang soll nicht zurückbleiben hinter den künstlerischen Werken, die es präsentiert: Es schließt sich aus, hinter den Kulissen dogmatisch, manipulativ, diktatorisch und unzugänglich zu sein, wenn wir uns auf der Bühne für ein kritisches, partnerschaftliches, respektvolles und freundliches Miteinander einsetzen. Unser Handeln als Festivalteam soll sich an diesem künstlerischen Anspruch orientieren.

Das Festival Theaterformen soll ein solidarischer Raum sein, in dem Platz für Diskussion und Austausch ist ohne konform oder gleich sein zu müssen. Wir möchten das Festival Theaterformen so gestalten, dass ein verbündetes und konstruktives Miteinander zwischen Mitarbeiter*innen, Künstler*innen und Publikum möglich ist.

WIE können wir dieser Haltung im Arbeitsalltag gerecht werden?
Diskriminierung – wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Klassismus und Ableismus – findet auf individueller, struktureller und institutioneller Ebene statt. Wir wollen Diskriminierung auf diesen Ebenen mit unserem Handeln begegnen. Wir befinden uns in einem Prozess, in dem wir unsere Arbeit und unser Tun hinterfragen. Dafür holen wir uns professionelle Unterstützung und externes Feedback ein. Wir sind bereit, unsere eigenen Verstrickungen in diskriminierende Verhältnisse anzuerkennen.

WAS wollen wir dafür tun?
Bei Programmplanung und -auswahl, Einstellungspolitik und Öffentlichkeitsarbeit – in allen Bereichen unserer Arbeit, die wir aktiv gestalten – haben wir die Absicht, Diskriminierung entgegenzuwirken. Im Falle von Diskriminierung sind wir parteilich mit Betroffenen und richten unser Handeln entsprechend aus. Unsere Privilegien nutzen wir, um diskriminierungskritisch zu agieren. Wir überprüfen unsere Handlungsmöglichkeiten regelmäßig. Weil der Handlungsspielraum durch institutionelle, finanzielle und zeitliche Faktoren begrenzt ist, können wir nicht allen Ansprüchen gerecht werden.

Die diskriminierungskritische Öffnung ist ein Prozess, der im Herbst 2018 begonnen hat und zunächst bis Juli 2020 unter der Leitung Martine Dennewalds stattgefunden hat. Alle Teammitglieder haben das Ziel, das erworbene Wissen in spätere Arbeitszusammenhänge mitzunehmen und andernorts wirksam werden zu lassen.

Wir veröffentlichen unsere Überlegungen hier, um in unseren Vorhaben transparent, kritisierbar und überprüfbar zu sein und beschreiben in den folgenden Punkten einige Bereiche unserer diskriminierungskritischen Arbeit. 

Diskriminierungskritische Prozessbegleitung
Das Festivalteam hat wir in fünf Arbeitseinheiten, die zwischen September 2018 und September 2019 stattgefunden haben, eine diskriminierungskritische Fortbildung durchlaufen. Die Arbeit mit dem Institut für diskriminierungsfreie Bildung I IDB beinhaltete die Reflexion der Arbeitsprozesse innerhalb der Institution als auch eine Analyse der Öffentlichkeitsarbeit, den Umgang mit Diskriminierung in der Festivalarbeit und eine Formulierung möglicher antirassistischer Strategien für die Zukunft.

Fortbildungen
Bisher haben Teammitglieder an Workshops zu Barrierefreiheit, Critical Whiteness, Empowerment, Klassismus, gendergerechter Sprache, diskriminierungskritischer internationaler Kulturarbeit und Übertitelung für Gehörlose teilgenommen. Weitere diskriminierungskritische Fortbildungen werden ermöglicht und finanziell unterstützt.

Arbeitsumfeld und Einstellungspolitik
Wir legen Wert auf ein diskriminierungssensibles Arbeitsumfeld, in dem ein solidarisches Miteinander unter Kolleg*innen und Künstler*innen gelebt wird. Wir ermutigen Personen mit Diskriminierungserfahrung, sich bei uns zu bewerben, und streben an, ein diskriminierungskritisches Arbeitsumfeld zu bieten. Konflikte sollen kollegial gelöst werden und können, soweit das die betroffene Person wünscht, in einer der monatlich stattfindenden Awareness-Sitzungen bearbeitet werden. Liegen Konflikte vor, die Unterstützung von außen erfordern, ist die Festivalleitung verantwortlich, diese zu beschaffen – beispielsweise in Form einer Mediation.

Feedback
Um Rückmeldungen und Kritik in den diskriminierungskritischen Prozess aufzunehmen und unsere Organisation weiterzuentwickeln, bitten wir auf verschiedenen Ebenen um Feedback – bei Mitarbeiter*innen-Gesprächen, in Feedbackfragebögen, die alle Künstler*innen und saisonale Mitarbeiter*innen erhalten und in Gesprächen mit Regisseur*innen. Darüber hinaus bitten wir externe Berater*innen wie Mitarbeiter*innen der Amadeu Antonio Stiftung um produktionsbezogenes Feedback. Jede Feedbackeingabe wird aufgenommen und ausgewertet. Für alle Teammitglieder sind die Eingaben einsehbar. Jede*r kann sich im Rahmen der Awareness-Sitzung zu ihnen äußern. In den Awareness-Sitzungen beraten wir über notwendige Schritte. Der künstlerischen Leiterin des Festivals Theaterformen obliegt es, die daraus resultierenden Vorgehensweisen zu beschließen. Anna Mülter (muelter@theaterformen.de) steht als Ansprechpartnerin zur Verfügung.

Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
Falls möglich, arbeitet das Festival Theaterformen mit Organisationen, die People of Colour oder Menschen mit Behinderung beschäftigen, zusammen. Kollaborationen werden im Hinblick auf beidseitigen Mehrwert geplant. Die Bemühungen des Festivals um ein diskriminierungskritisches Arbeitsumfeld sind nicht denkbar ohne die Arbeit vieler Organisationen, die ausschließlich oder vornehmlich in diesem Bereich tätig sind. Das Festival möchte nach Maßgabe seiner Möglichkeiten für diese Organisationen als Bündnispartner*in agieren.