Theka


Horácio Macuácua . Idio Chichava .Maputo . Mosambik

Tänzerische Rebellion gegen das Schubladendenken

Was, wenn wir die vermeintlich eindeutigen Kategorien von zeitgenössischem und traditionellem Tanz nicht als Gegensätze betrachten würden? Wenn seit Jahrhunderten überlieferte Rhythmen und computergenerierte Sounds eine Symbiose eingingen, wenn eine Choreografie sich aus vielfältigen Ursprüngen nähren ließe, ob sie nun zum Kanon westlich geprägter Tanzgeschichte gehören oder nicht? Theka ist eine Choreografie jenseits dieser Fragestellungen. Die mosambikanischen Choreografen Horácio Macuácua und Idio Chichava bringen mit dem 14-köpfigen musikalischen und tänzerischen Ensemble der Associação Cultural Hodi ein Tanzstück auf die Bühne, das vergnügt und eigensinnig jede Freiheit für sich reklamiert. Geste für Geste, Schritt für Schritt, mit zögerlich sich vortastenden Füßen und raumgreifenden Sprüngen, in burlesken Duos und dynamischen Gruppenszenen entwickeln sie eine Bewegungssprache, die jede Kategorisierung hinfällig macht.


Horácio Macuácua und Idio Chichava nehmen beim Festival Theaterformen an den Tischgesprächen teil.

Theka kann auch im Rahmen von In guter Gesellschaft am 16. Juni mit Dr. Kenton Barnes besucht werden.

Regie und Choreografie Horácio Macuácua . Idio Chichava In Zusammenarbeit mit Associação cultural Hodi Koproduktion Kinani . YODINE . Festival Theaterformen Mit Nilégio Cossa . Paulo Inácio . Eugénio Macuvel . Augusto Manhiça . Elias Manhiça . Ivan Mathis . Armando Nhamucume . Judite Novela . Osvaldo Passirivo . Vasco Sitoe . Erzénia Tamele Musik Nandele Maguni  

Gefördert im Fonds TURN der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Projekts SCHULD
Gefördert durch das Goethe-Institut


Staatstheater Grosses Haus


16.06.19:00 Uhr

EintrittVVK 24/18 Euro . AK 26/20
ErmäßigtVVK 12/9 Euro . AK 13/10
Einführung16.06. 18.30 Uhr . Louis-Spohr-Saal
Warm-up16.06. 18.00 Uhr . Großes Haus . Treffpunkt Kassenfoyer
Dauer1h . keine Pause
SprachePortugiesisch mit deutschen und englischen Übertiteln

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IM JUNI

... sind außergewöhnlich viele afrikanische Theatermacher_innen beim Festival zu Gast: aus Kenia, der Republik Kongo, Mosambik, Nigeria, Ruanda und Südafrika. Um nicht nur auf den Bühnen, sondern auch in der Programmplanung weiße europäische Perspektiven zu relativieren, sind wir mit dem National Arts Festival Grahamstown und dem Festival Kinani Maputo eine Partnerschaft eingegangen. Theka von Horácio Macuácua und Idio Chichava und Jungfrau von Jade Bowers wurden in diesem Rahmen koproduziert und an ihren Heimatorten sowie in Braunschweig aufgeführt. Die Partnerfestivals haben außerdem drei junge afrikanische Künstler_innen ausgewählt, die in Braunschweig jeweils ein neues Kurzstück erarbeiten (3X30). Im November 2017 trafen sich die Beteiligten in Maputo.

Im Kinani-Festivalzentrum trafen sich Kooperationspartner_innen zum Gespräch

ZUSAMMENARBEIT UND NACHHALTIGKEIT


Judith Hartstang: Sprechen wir zuerst über unsere Zusammenarbeit: Kooperation klingt gut, aber was haben wir am Ende davon? Habt ihr Wünsche oder Erwartungen?

Quito Tembe: Schön, dass ihr alle hier nach Maputo gekommen seid. Gemeinsam neue Stücke produzieren, das ist fantastisch. So kann man dieselben Theaterarbeiten auf unterschiedlichen Kontinenten in Maputo, Grahamstown und Braunschweig sehen.

Jade Bowers: Mein erster Gedanke war: „Was mache ich auf einem Tanzfestival? Was weiß ich schon über Tanz?“ Als ich für unser Treffen hierherkam, hat mir das regelrecht den Kopf freigemacht. An der Zusammenarbeit interessiert mich, wie ich Einflüsse anderer Kunstformen in meine Theaterarbeit integrieren kann. Die Grenzen zwischen den Genres lassen sich verwischen, wenn wir auf unterschiedliche Weise inspiriert werden, sei es durch Schreiben, Tanz oder Performancekunst. Darum geht es bei solchen Kollaborationen.  

Ashraf Johaardien: Jade und ich haben viel darüber gesprochen, wie sich das Theater verändert, wenn man nicht mehr nur einfach Regisseurin oder Darstellerin oder Autorin ist. Konzeptionell ist es unglaublich bereichernd, beim Kinani-Festival zu sein und darüber zu sprechen, wie sich bestimmte Formen von Theater oder Tanz auflösen können, und ich freue mich, wenn ich über Kooperationspartner_innen die Möglichkeit habe, die Laufzeit einer Theaterarbeit zu verlängern. Wenn wir gewährleisten können, dass die Arbeit lange gezeigt wird und wir Partner_innen an Bord holen können, dann können wir mehr neue Arbeiten produzieren. Eine längere Laufzeit der Stücke bedeutet auch, dass unsere Investitionen sich langfristiger rentieren und die Produktion länger im Spiel bleibt.  

Judith: Quito, könntest du etwas über eure Auswahl von neuen und alten Arbeiten und deren Verhältnis sagen?  

Quito: Darüber reden wir oft. Wir möchten die etablierten Gruppen mit jüngeren Künstler_innen zusammenbringen. Kinani soll eine Plattform zur Begegnung der Generationen sein. Als wir anfingen, über das Konzept von Theka zu sprechen, wollten wir kein Stück produzieren, wir wollten einfach sehen, was bei dieser bestimmten Zusammenarbeit herauskommt. 


THEKA


Judith: Horácio und Idio, ihr seid die Choreografen von "Theka" der Koproduktion des Kinani-Festivals und der Theaterformen – ihr habt mit verschiedenen Gruppen hier in Maputo zusammengearbeitet...  

Horácio Macuácua: Wie Quito schon sagte: Zuerst ging es nicht darum, ein Stück zu machen, es war zunächst ein groß angelegter Workshop. Ich wollte nichts erzwingen, sondern zeitgenössische und traditionelle Tänze und mosambikanische Musik zusammenbringen. Es ging um unterschiedliche Perspektiven, den Austausch von Ideen und Erfahrungen, ums Fragenstellen und darum, den Prozess ins Rollen zu bringen.  

Martine Dennewald und Quito Tembe.

Idio Chichava: Als wir für die Proben von Theka zusammenkamen, dachte ich, wow, so viele Tänzer_innen aus dem traditionellen Umfeld zusammen auf der Bühne. Nach ein paar Proben meinte ich, wir sind fertig, ich will das fertige Stück gar nicht sehen. Wie die Tänzer_innen sich veränderten, wie sie im Tanz neue Sachen ausprobieren konnten, viel mehr, als wir es je hätten erzwingen können. Was Erfolg und Nachhaltigkeit angeht: Die Arbeit an etwas Neuem mit all diesen unterschiedlichen Leuten hat Fragen zur Beziehung von zeitgenössischem und traditionellem Tanz aufgeworfen, an denen wir uns jetzt weiter abarbeiten können.  

Horácio: Ich wollte mich hier in Maputo über Tanz austauschen, den Raum öffnen, nicht etwa Tanz lehren. Es kommt selten vor, dass sich traditionelle und zeitgenössische Choreograf_innen austauschen. Uns ist wichtig, Türen aufzustoßen, nicht nur für eine bestimmte Gruppe.


PUBLIKUM


Judith: Ich habe mich gefragt, was das Publikum von eurer Arbeit mitnimmt. Jade, in einem Interview hast du mal gesagt: „Zuschauer können etwas lernen, wenn sie Theater sehen.“ Kannst du das weiter ausführen? Was hat das Publikum davon?

Ashraf: Darf ich? Das Stück, das Jade für nächstes Jahr vorbereitet, ist die Adaption einer Kurzgeschichte, also ziemlich textlastig. Meine provokante Frage: Was, wenn sie daraus eben kein Texttheater machte? Es geht auch darum, das Publikum zu fordern, seine Sehgewohnheiten zu erweitern. Wie schälen wir die Wohlfühlzone weg und finden neue Ansätze? Eine neue Arbeitsweise für die Künstler_innen, eine neue Erfahrung für das Publikum? 

Martine Dennewald: Aus meiner Sicht sieht das etwas anders aus, weil unsere Festivals unterschiedlich funktionieren. Wir laden fast ausschließlich internationale Arbeiten ein. Wir möchten ein Fenster zur Welt sein. Aber: Nur herumreisen und aussuchen, was mir als weiße Kuratorin am besten erscheint, reicht als Engagement nicht aus. Wie ihr gesagt habt: Ihr sucht eine andere Form der Zusammenarbeit, mit mehr Zeit, oft auch mit mehr Vertrauen, längeren Arbeitsprozessen und auch mehr Risiken. Ich bin überzeugt, dass unsere Institutionen sich dieser Art von Engagement öffnen müssen. Aber das Publikum bekommt die Arbeit, die wir im Vorfeld tun, häufig gar nicht mit. Das Publikum kommt und sieht sich die Vorstellungen an.

Quito: Theka werden sich nicht dieselben Leute ansehen wie ein zeitgenössisches Tanzstück. Diese Zusammenarbeit mit einer traditionellen Tanzgruppe wird unser Publikum erweitern.  

Ashraf Johaardien und Horácio Macuácua.

Horácio: Nach der Vorstellung von Theka hier in Maputo kamen Leute zu mir und sagten, sie erkennen ein Lied oder einige von den Tanzbewegungen. Aber ihnen war auch klar, dass die Lieder oder manche der Bewegungen anders waren, weil Idio und ich sie als zeitgenössische Tänzer_innen choreografiert hatten.


FALLSTRICKE


Judith: Wir haben jetzt viel Positives gehört, doch welche Fallstricke gibt es? Martine, was meinst du als Festivalleiterin dazu?

Martine: Koproduktionen sind immer riskant. Ich würde das nicht als Fallstrick bezeichnen, aber wir müssen uns – und deswegen habe ich auch das ganze Team nach Maputo mitgebracht – unserer Position als weiße Kurator_innen bewusst sein. Ashraf und Quito haben Künstler_innen vorgeschlagen, aber am Ende habe doch ich entschieden, mit wem wir arbeiten wollten. Wie reflektieren wir diese Machtverteilung? Wie fließt dieses Bewusstsein in strukturelle Fragen ein wie z. B., dass wir uns mit euch zusammentun und die kuratorischen Entscheidungen gemeinsam treffen? Das hier ist ein erster Schritt und ein Pilotprojekt, mit dem wir unsere Entscheidungsfindungen befragen möchten, da gibt es noch viel zu tun.


KOLONIALE VERGANGENHEIT


Judith: Das führt zu einem anderen Thema, über das ich gern sprechen würde: Wie präsent ist die koloniale Vergangenheit für euch?

Ashraf: Ich fange mal an. Das National Arts Festival wurde 1973 gegründet, auch um die englische Sprache in der Xhosa-Region von Südafrika zu bewahren. Mir ist wichtig, dass die künstlerischen Entscheidungen ein neues Narrativ schaffen, das die koloniale Vergangenheit thematisiert. Die Geschichte lässt sich nicht einfach „weißmalen“, sie steckt selbstverständlich auch in unserem Festival. Das Problem stand lange unausgesprochen im Raum: Wie sich dessen bewusst sein, wie programmatisch dagegen angehen? Die Geschichte nicht wiederholen, sondern sie dekonstruieren und verstehen, wie es dazu kommen konnte. Die unterschiedlichen Standpunkte verstehen und diese Geschichten zu erzählen, darum geht es bei unserer Auswahl der Künstler_innen und der Geschichten, die sie in ihrer Arbeit erzählen wollen.  

Jade Bowers, Katharina Wisotzki und Judith Hartstang.

Jade: Für mich ist das Thema auf andere Weise vorherrschend. Ich gehöre zu denjenigen in Südafrika, die wir als „farbige“ oder mixed race Gruppe bezeichnen, die aus historischen Gründen eine eigene Kultur geworden sind. Jetzt wird viel darüber geredet, ob man auf den Begriff „farbig“ verzichten sollte, da dieser damals vom Parteiensystem aufgezwungen worden war. In meinen Arbeiten geht es viel um „farbige“ Identität und diese Kultur.  

Ashraf: In der Vergangenheit gab es ein dominantes weißes Narrativ und ein Schwarzes Narrativ, und Jade beleuchtet quasi einen Bereich zwischen diesen beiden Geschichten, weder Schwarz noch weiß. Es geht dabei nicht nur um das „farbige“ Narrativ, nicht unbedingt um die mixed race Erzählung, sondern darum, dass es Geschichten gibt, die sich zwischen diesen Polen befinden. Wie sie sich in ihrer Arbeit da herantastet, das finde ich spannend.  

Quito: Dieses Jahr lag beim Festival Kinani der Schwerpunkt darauf, Elemente traditioneller mosambikanischer Kunst mit zeitgenössischem Tanz zu mischen, der stark vom europäischen Tanzkanon beeinflusst ist. Über diese Einflüsse kann man sprechen, aber mir scheint es sinnvoller, mit Choreografen wie Horácio oder Idio zu arbeiten, denn sie verschmelzen unterschiedliche Perspektiven zu einem Stück, ohne dass sie dafür Workshops über die ehemalige Kolonialmacht Portugal oder über portugiesische Ästhetik halten. Das baut Barrikaden ab, wir arbeiten mit künstlerischen Strategien, die über unsere Ansichten zu portugiesischer Ästhetik weit hinausgehen. Ich empfinde es daher als Glück, dass wir nicht so genau festlegen, wie weit oder wie eng wir unsere Parameter setzen wollen.  


EINE AUSWAHL


Quito: Eine Frage an Martine und Ashraf: Nach welchen Kriterien wählt ihr die Stücke für eure Festivals aus?

Ashraf: Ein Stück berührt mich oder leistet etwas für mich…  

Martine: Richtig, die Arbeit muss mich berühren. Das ist sehr subjektiv, ich kann ja nicht wissen, was dem Publikum gefällt. Ich kann nur hoffen, dass etwas, das mich berührt, mich interessiert, auch für das Publikum funktioniert. Abgesehen von dieser subjektiven Position versuchen wir aber auch, das Festival jedes Jahr anders zu gestalten. Für einzelne Festivals gibt es manchmal besondere Regeln. 2017 bestand die Regel darin, dass wir nur von Frauen inszenierte oder choreografierte Arbeiten vorstellen wollten, weil diese auf den meisten Festivals unterrepräsentiert sind. Für das Festival 2018 wollten wir uns dem postkolonialen Erbe stellen, so wie es in den Arbeiten ganz unterschiedlicher Künstler_innen vorkommt – nicht nur vom afrikanischen Kontinent, sondern auch aus Kanada und Australien. Und natürlich, in der Selbstbefragung über das eigene Weißsein, auch in Produktionen aus Europa.

v.l. Ashraf Johaardien, Jade Bowers, Martine Dennewald, Quito Tembe, Idio Chichava, Judith Hartstang, Horácio Macuácua.

Ashraf Johaardien ist Executive Producer des National Arts Festivals in Grahamstown, Südafrika. Das NAF ist das größte Kunst-Festival auf dem afrikanischen Kontinent.  

Jade Bowers ist Regisseurin. Am 15.06. wird ihr Stück Jungfrau bei Theaterformen uraufgeführt.  

Martine Dennewald leitet das Festival Theaterformen.  

Quito Tembe leitet das Festival für zeitgenössischen Tanz Kinani in Maputo, Mosambik.  

Horácio Macuácua und Idio Chichava sind Choreografen aus Mosambik. Am 16. Juni ist ihr Tanzstück Theka beim Festival Theaterformen zu sehen.  

Die Fragen stellte Judith Hartstang, Festival Theaterformen.